Bei der Jahrestagung der European Hematology Association (EHA), die vom 08. bis 11. Juni 2023 in Frankfurt und online stattfand, wurden aktuelle Studiendaten zu hämatologischen Malignomen vorgestellt – einige davon mit praxisveränderndem Potenzial. Wir haben einige Kongress-Highlights für Sie zusammengestellt.

Niedrigrisiko-MDS: Erstlinien-Luspatercept ­verbessert Anämie und senkt Transfusionsabhängigkeit
Der TGF-b-Liganden-Hemmer Luspatercept ist für transfusionsabhängige ­Patient:innen mit Niedrigrisiko-MDS und Ringsideroblasten als Zweit­linientherapie nach Versagen einer Erythropoetin (EPO)-basierten Therapie zugelassen. Nun zeigt eine Interimsanalyse der Phase-III-Studie COMMANDS, dass Luspatercept auch im Erstlinieneinsatz im Vergleich zum synthetischen EPO-Derivat Epoetin Alfa einen klinisch hochrelevanten Nutzen bringt (1).
Wie Prof. Matteo Giovanni Della Porta, Mailand, Italien, berichtete, vergleicht die ­offene, randomisierte COMMANDS-Studie die Wirksamkeit und Sicherheit von Luspatercept vs. Epoetin alfa bei 354 anämischen Patient:innen mit Niedrigrisiko-MDS (LR-MDS), darunter gut 70 % mit Ringsideroblasten. Die Erkrankten durften nicht mit Erythropoese-stimulierenden Faktoren (ESA) vorbehandelt sein und mussten regelmäßig Erythrozyten-Transfusionen benötigen.
Primärer Endpunkt war der Anteil der Patient:innen, die innerhalb der ersten 24 Wochen 12 Wochen lang Transfusionsfreiheit und gleichzeitig einen mittleren Hämoglobin-Anstieg von ≥ 1,5 g/dl im Vergleich zum Ausgangswert erreichten. 58,5 % der Patient:innen unter Luspatercept gegenüber 31,2 % unter Epoetin alfa erreichten diesen kombinierten Endpunkt.
Damit war die Anzahl der Erkrankten, die transfusionsunabhängig waren, unter Luspatercept vs. Epoetin alfa nahezu verdoppelt1.
Das Sicherheitsprofil von Luspatercept war vergleichbar mit dem in früheren Berichten. Luspatercept dürfte damit auf dem Weg zu einem neuen Erstlinienstandard bei transfusionsabhängigen MDS mit niedrigem Risiko sein.

CAR-T-Zellen reduzieren ­Progressionsrisiko beim Lenalidomid-refraktären Multiplen ­Myelom schon ab dem 1. Rezidiv
Die gegen das B-Zellreifungsantigen (BCMA) gerichtete CAR-T-Zelltherapie ­Ciltacabtagen autoleucel (cilta-cel) ist zugelassen zur Behandlung erwachsener Patient:innen mit rezidiviertem und refraktärem Multiplen Myelom (R/R MM), die zuvor ≥ 3 Therapien erhalten haben – darunter einen Immunmodulator (IMiD), einen Proteasominhibitor (PI) und einen Anti-CD38- Antikörper – und während der letzten Therapie einen Progress erlitten haben.
Nun zeigen die Daten der Phase-III-Studie CARTITUDE-4, dass die CAR-T-Zellen bei Erkrankten mit Lenalidomid-refraktärem Multiplen Myelom ­bereits in der frühen Rezidivsituation zur signifi­kanten und klinisch bedeutsamen Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS) im Vergleich zum derzeitigen Behandlungsstandard (SOC) PVd (Pomalidomid/Bortezomib/Dexamethason) oder DPd (Daratumumab/Pomalidomid/Dexame­thason) führen.
Wie Prof. Hermann Einsele, Würzburg, berichtete, war das mediane PFS im cilta-cel-Arm nach einem medianen Follow-up von 15,9 Monaten noch nicht erreicht vs. 11,8 Monaten im SOC-Arm (HR 0,26; p<0,0001), entsprechend einem um 74 % reduzierten Risiko für Progression oder Tod unter dem Einfluss der CAR-T-Zelltherapie (2).
Dabei war es unerheblich, ob die Erkrankten im Vorfeld nur eine oder 2 bis 3 Therapielinien erhalten hatten. Die CARTITUDE-4-Daten könnten den Behandlungsstandard in der frühen Rezidivsituation beim MM verändern.

Pädiatrische Patient:innen mit cGvHD: hohe ­Ansprechraten auf Ruxolitinib
Systemische Kortikosteroide sind der Standard in der Erstlinienbehandlung der chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung (cGvHD) – einer schweren Immunreaktion, die jede:n zweite:n Empfänger:in nach allogener Stammzelltransplantation (allo-SCT) betrifft und etwa 20 % der Todesfälle nach der Transplantation verursacht. Allerdings werden 50 % der Patient:innen steroidrefraktär oder bleiben steroidabhängig, sodass eine zusätzliche Behandlung erforderlich ist.
Der JAK-Inhibitor Ruxolitinib (RUX) wird standardmäßig zur Behandlung der (cGvHD) bei ­Patient:innen ab 12 Jahren nach allo-SCT eingesetzt, wenn unzureichendes Ansprechen auf Kortikosteroide und andere systemische Therapien vorliegt. Nun legen primäre Daten der offenen, einarmigen Phase-II-Studie REACH 5 nahe, dass auch pädiatrische Patient:innen ab 2 Jahren mit moderater bis schwerer behandlungsnaiver oder steroidrefraktärer cGvHD von RUX, ergänzend zu Steroiden eingesetzt, profitieren. Primärer Studienendpunkt war die objektive Ansprech­rate (ORR) an Tag 1 von Zyklus 7 (C7D1).
Wie Prof. Franco Locatelli, Rom, Italien, berichtete, wurde in der Gesamtpopulation der Kinder eine ORR (C7D1) von 40 % mit 8,9 % kompletten Remissionen (CR) erreicht, die über die Altersgruppen von 2 bis 12 Jahren ähnlich verteilt war (3). Locatelli hob hervor, dass die ORR bei den therapienaiven und steroidrefraktären Erkrankten vergleichbar war (41,2 % bzw. 39,3 %). Nach 12 Monaten waren noch 84,2 % der Erkrankten am Leben – 78,0 % in der steroidrefraktären und 94,1 % in der therapienaiven Population.
RUX trug auch zu einer erheblichen Einsparung von Steroiden bei: Von den Patient:innen, die Steroide bereits zu Studienbeginn erhielten (88,9 %), konnten 42,5 % diese vollständig absetzen; bei 75,0 % wurde zumindest eine Reduktion ≥ 50 % gegenüber Baseline erreicht.
Das Sicherheitsprofil von RUX war konsistent mit früheren Untersuchungen. Locatelli schloss aus den Daten, dass die Addition von RUX zu ­Steroiden sowohl für therapienaive als steroid­refraktäre pädiatrische Erkrankte eine effektive und sichere Option darstelle. Er selbst gehe davon aus, dass sich der frühe RUX-Einsatz zu Beginn der Komplikation durchsetzen werde.

CRISPR/Cas9 Geneditierungs-Therapie bei Beta-Thalassämie und Sichelzellkrankheit
Exagamglogene autotemcel (Exa-cel) ist eine in der Erprobung befindliche, autologe, ex-vivo CRISPR/Cas9 Geneditierungs-Therapie, die bei transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie (TDT) und schwerer Sichelzellerkrankung (SCD) evaluiert wird. Dabei werden patienteneigene hämatopoetische Stamm- und Vorläuferzellen geneditiert, um höhere Spiegel an fetalem Hämoglobin zu bilden.
Interimsdaten der Zulassungsstudien CLIMB THAL-111 (TDT) und CLIMB SCD-121 (SCD) kamen zu bemerkenswerten Ergebnissen: Durch Exa-cel konnte für nahezu alle Erkrankten mit TDT Transfusionsunhängigkeit und schwerer SCD und für jene mit SCD die Abwesenheit vasookklu­siver Krisen über jeweils ein Jahr erreicht werden4. Da sich eine erfolgreiche und dauerhafte Editierung der langlebigen Stammzellen im Knochenmark und peripheren Blut andeutet, sprach Prof. Franco Locatelli, Rom, Italien, sogar von einer möglichen „funktionellen Heilung“ der Erkrankungen.

Dr. Claudia Schöllmann

Quelle: Jahrestagung der European Hematology Association (EHA), die vom 08. bis 11. Juni 2023 in Frankfurt
Referenzen: 1. Della Porta MG al. EHA 2023, Abstract #S102 und Vortrag. 2. Einsele H et al. EHA 2023, Abstract #S100 und Vortrag. 3. Locatelli F R al. EHA 2023, Abstract #S245 und Vortrag. 4. Locatelli F et al. EHA 2023, Abstract #S270 und Vortrag.

Copyright Abb.: AdobeStock/adimas

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