Jugendliche mit Smartphone

Das Smartphone lässt uns mobil arbeiten, Musik hören, Serien schauen, Einkäufe erledigen, mit Familie und Freunden kommunizieren, spielen, Nachrichten verfolgen, Fotos machen usw. Da ist es ganz verständlich, das Smartphone gerne bei sich zu tragen. Wenn es allerdings gar nicht mehr ohne geht, dann kann eine Nomophobie vorliegen.

Der Begriff Nomophobie setzt sich aus dem Englischen „no mobile phone phobia“ zusammen und beschreibt die Angst, vom eigenen Smartphone getrennt zu sein. Er wurde erstmals in einer britischen Studie 2008 genutzt, in der das Phänomen untersucht wurde5. Symptome der Nomophobie sind z.B. Stress bei ausgeschaltetem Handy, Angstzustände bei leerem Akku oder aufgebrauchtem Datenvolumen, Panik im Funkloch oder wenn das Smartphone zuhause gelassen wurde. Ohne ihr Smartphone fühlen sich Betroffene unwohl, sind nervös, ängstlich oder gereizt. Auch körperliche Symptome wie Zittern, Schwitzen oder erhöhte Herzfrequenz können auftreten.
Um Nomophobie diagnostizieren zu können, wurde ein Fragebogen, der Nomophobia Questionaire (NMP-Q) entwickelt, der folgende vier Bereiche umfasst:

  1. Nicht kommunizieren können
  2. Verbindungsverlust
  3. Nicht auf Informationen zugreifen können und
  4. Komfortverzicht6

Frauen und Jüngere besonders oft betroffen
Nomophobie ist sowohl in Deutschland als auch international weit verbreitet. Schon in der ersten Studie aus dem Jahr 2008 waren 53 % der Befragten von Nomophobie betroffen5. In unterschiedlichen Studien, die meist eine Übersetzung des NMP-Q verwendeten, zeigte sich, dass ca. die Hälfte der Teilnehmenden ein mittleres Maß an Nomophobie aufwies, von einer schweren Nomophobie waren in Deutschland 4,1 %4 und international im Durchschnitt sogar 16 %7 betroffen.
Besonders anfällig sind dabei jüngere und weibliche Personen4,7. Aufgrund eines stärkeren Bedürfnisses nach sozialen Beziehungen nutzen Frauen das Smartphone stärker zur Kommuni­kation, so zeigten Frauen bei den Nomophobie-Faktoren „Nicht kommunizieren können“ und „Komfortverzicht“ signifikant höhere Werte als Männer. Dabei nutzten Frauen das Smartphone nicht häufiger als Männer, allerdings länger4. Auch ist Nomophobie eher bei Personen anzutreffen, die sich schnell aus der Ruhe bringen lassen und weniger bei besonders gewissenhaften Personen4.

Psychische Folgen von Depression bis Einsamkeit
Nomophobie hängt mit einer exzessiven Smartphone-Nutzung zusammen. Je länger Personen am Smartphone sind, desto eher sind sie von einer Nomophobie betroffen4. Nomophobie korrespondiert dabei mit Einsamkeit, Depression, Ablenkung und verminderter Impulskontrolle8. Ein weiteres Phänomen ist die Angst, etwas zu verpassen, die sogenannte Fear of Missing Out (FoMO). Personen befürchten, dass andere schönere Erlebnisse haben, sind nervös, wenn sie nicht wissen, was ­ihre Freunde gerade tun und verbringen sehr viel Zeit damit, auf dem Laufenden zu bleiben. Auch nutzen sie verstärkt soziale Medien, um selbst positive Erlebnisse zu teilen und Erlebnisse anderer mitzubekommen. Dies kann dazu führen, dass die Nomophobie aufrechterhalten wird. Auch können depressive Symptome entstehen, wenn Personen ihr eigenes Leben für weniger spannend oder attraktiv halten als das der anderen.
Überschneidungen gibt es auch zwischen Nomophobie und Smartphone-Abhängigkeit4. Smartphone-Abhängigkeit zeigt sich als zwanghafter Drang das Smartphone zu bedienen. In der Folge kann es zu Konzentrationsproblemen im Unterricht oder auf der Arbeit kommen; Personen fällt es schwer, geplante Aufgaben zu erledigen, trotz dieser Probleme kann nicht auf das Handy verzichtet werden. Smartphone-Abhängigkeit kann als Suchterkrankung und ­Nomophobie als Angststörung, z.B. als spezifische Phobie ­angesehen werden. Explizit sind beide Begriffe weder in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) noch im Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM) aufgeführt. Dass die technischen Veränderungen und ihre psychischen Folgen im Laufe der Zeit auch als Störung anerkannt werden, zeigt sich z.B. bei der Computerspielsucht, die in der seit 2022 gültigen ICD-11 in der Rubrik Verhaltenssüchte neu aufgenommen wurde.

Tipps für Betroffene
Um die Symptome der Nomophobie zu reduzieren, sollten smartphonefreie Zeiten festgelegt und eingehalten werden. Auch kann es helfen, das Smartphone in den Grau- oder Schwarz-Weiß-Modus zu setzen, um die Attraktivität zu reduzieren. Eine Reduktion der Smartphone-Zeit um eine Stunde kann z.B. die Lebenszufriedenheit und das Gesundheitsverhalten steigern sowie Angst- und Depressionssymptome ­reduzieren9. Sinnvoll ist auch, das Smartphone außer Sicht zu legen und Push-Benachrichtigungen abzustellen. Manchmal ist auch ein Telefonat zielführender als viele Textnachrichten hin- und herzuschreiben. Und um zu wissen, wie spät es ist, sollte eine Armbanduhr getragen und ein Wecker verwendet werden, ganz unabhängig vom Smartphone. Auch sollte das Smartphone nachts in einem anderen Zimmer aufgeladen werden und möglichst nicht im Bett genutzt werden. Es können alternative Beschäftigungen gesucht werden, z.B. kann ein nicht-digitales Hobby (wieder-)gefunden oder sich mit Freunden in der realen Welt verabredet werden. Zusätzlich stehen unterschiedliche Apps zur Verfügung, über die das Smartphone-Verhalten kontrolliert werden kann.

Kognitive Verhaltenstherapie
Wenn Nomophobie-Betroffenen diese Maßnahmen nicht ausreichen, kann kognitive Verhaltenstherapie sinnvoll sein. Wie auch bei anderen Angsterkrankungen können dabei irrationale Überzeugungen, verzerrte Wahrnehmungen und problema­­tische Denkmuster erkannt, hinterfragt und korrigiert sowie alternative Verhaltensweisen aufgebaut werden. Die angeleitete Konfrontation mit der angstauslösenden Situation oder dem angstauslösenden Reiz kann bei mehrmaliger Wiederholung die Angst reduzieren. Im Fall der Nomophobie wird geübt, das Smartphone für eine bestimmte Zeit ausgeschaltet zu lassen bzw. nicht mitzunehmen. So kann erlebt werden, dass die Befürchtungen nicht eintreten und die positive Erfahrung gemacht werden, dass alltägliche Situationen auch ohne Smartphone bewältigt werden können. Ziel ist es, die Kontrolle über die Smartphone-Nutzung wiederherzustellen.

Prof. Dr. Yvonne Görlich, Göttingen

Literatur:

1. Statistica. Number of smartphone users in Germany from January 2009 to 2021. [Abgerufen am 11.08.2023]. https://www.statista.com/statistics/461801/number-of-smartphone-users-in-germany/
2. Statistica. Anteil der Jugendlichen in Deutschland, die ein Handy/Smartphone besitzen, nach Altersgruppe im Jahr 2022 [Abgerufen am 11.08.2023]. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/589577/umfrage/smartphone-besitz-von-jugendlichen-in-deutschlandnach-altersgruppe/
3. Statistica. Durchschnittliche tägliche Smartphone-Nutzung nach Apps 2020. [Abgerufen am 11.08.2023]. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1186676/umfrage/durchschnittliche-taegliche-smartphone-nutzung-nach-apps/]
4. Coenen M, Görlich Y. Exploring nomophobia with a German adaption of the nomophobia questionnaire (NMP-QD). Plos one 2022; 17:e0279379.
5. DailyMail. Nomophobia is the Fear of Being Out of Mobile Phone Contact. type. 31. März 2008 [Abgerufen am 11.08.2023]. https://www.dailymail.co.uk/news/article-550610/Nomophobia-fear-mobile-phone-contact–plague-24- 7-age.html.
6. Yildirim C, Correia A-P. Exploring the dimensions of nomophobia: Development and validation of a self-reported questionnaire. Computers in human behavior 2015; 49:130-137.
7. León-Mejía AC, Gutiérrez-Ortega M, Serrano-Pintado I, González-Cabrera J. A systematic review on nomophobia prevalence: Surfacing results and standard guidelines for future research. PloS one 2021; 16:e0250509.
8. Arpaci I. Gender differences in the relationship between problematic internet use and nomophobia. Current Psychology 2022; 41:6558-6567.
9. Brailovskaia J, Delveaux J, John J et al. Finding the “sweet spot” of smartphone use: Reduction or abstinence to increase well-being and healthy lifestyle?! An experimental intervention study. Journal of Experimental Psychology: Applied 2022.

Foto: AdobeStock/Xavier Lorenzo

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