Cannabis

Daten aus der Hospiz- und Palliativerhebung (HOPE) zeigen, dass zu den häufigsten Beschwerden bei Palliativ-Patienten Schwäche, Appetitmangel, Müdigkeit, Schmerzen, Anspannung, Angst, Depressivität, Übelkeit und Erbrechen gehören1. Cannabisbasierte Therapeutika bieten hier die Chance, mehrere Problembereiche gleichzeitig anzusprechen2.

Cannabinoide wirken über das Endocannabinoidsystem (ECS), das im Kern aus Endocannabinoiden und Cannabinoid-Rezeptoren besteht und sich über den ganzen Körper erstreckt. Es ist in eine Vielzahl von physiologischen Prozessen involviert, die beispielsweise Motorik, Appetitregulation, Schmerzempfinden und- verarbeitung, Gedächtnis, Immunantwort, Gemütszustand, Stressantworten, Angstgefühle, Förderung des Knochenaufbaus und auch die Vermittlung der psychoaktiven Wirkung von Cannabis betreffen. Die beiden bekanntesten Cannabinoid-Rezeptoren sind der CB1– und der CB2-Rezeptor.
Die Rezeptoren sind für die vielfältigen Cannabinoidwirkungen von Bedeutung. So erklärt sich, dass Cannabinoide mehrere Bereiche, die für belastende Symptome verantwortlich sind, gleichzeitig günstig beeinflussen können.

Effekte von Cannabinoiden
Die beiden wichtigsten und am besten untersuchten therapeutisch genutzten Cannabinoide sind THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol). Sie binden am körpereigenen Endocannabinoidsystem (ECS). THC hat eine hohe Affinität zu den CB1-Rezeptoren, die hauptsächlich im ZNS vorkommen. Hieraus erklärt sich auch der hohe psychomimetische Effekt von THC. Im Gegensatz dazu ist CBD der nicht-psychoaktive Hauptbestandteil der Cannabispflanze. Ein weiterer therapeutischer Nutzen wird auch Nicht-Cannabinoiden in der Hanfpflanze zugeschrieben. Hier sind besonders die Terpene hervorzuheben, von denen bislang mehr als 120 identifiziert sind.
Für die therapeutische Anwendung von cannabisbasierten Wirkstoffen sollten diese Wirkspektren beachtet werden. Zudem gibt es verschiede Darreichungsformen medizinischer Cannabisprodukte mit jeweils unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften, sodass auch die Wahl des Verabreichungsweges in eine flexible und individuell zugeschnittene Behandlung Eingang finden muss.
Für die Dosierung von Cannabispräparaten gilt „Start low, go slow“. Das bedeutet, dass die Therapie üblicherweise mit einer geringen Dosierung begonnen und nach Bedarf und Verträglichkeit langsam gesteigert wird. Je kränker ein Patient ist und je mehr Begleitmedikamente er einnimmt, desto behutsamer sollte die Dosis auftitriert werden4.

Mögliche Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen von medizinischem Cannabis können in zwei Gruppen unterteilt werden. Einerseits vegetative Reaktionen, wie beispielsweise:

  • Schwindel,
  • Herzfrequenzveränderungen,
  • Blutdrucksenkung,
  • gesteigerter Appetit,
  • Augenrötungen,
  • Kopf- und Bauchschmerzen,
  • Müdigkeit,
  • Änderung der Körperspannung,
  • trockene Schleimhäute.


Andererseits treten kognitive Beeinträchtigungen auf, wie:

  • Störungen von Kurzzeitgedächtnis und Konzentration sowie
  • Veränderungen der räumlichen und zeitlichen Wahrnehmung.


Diese Nebenwirkungen verschwinden üblicherweise nach der Eindosierungsphase.
Zudem gibt es Nebenwirkungen, die normalerweise nur von einer Überdosierung verursacht werden. Hierzu zählen:

  • Ohnmacht,
  • starke Schwankungen von Blutdruck,
  • Herzfrequenz,
  • Blutzucker und
  • Atemfrequenz.


Zu hohe THC-Dosen können, vor allem bei prädisponierten Menschen, zu vorübergehenden psychotischen Zuständen, Angst oder Halluzinationen führen. Auch kann Cannabis die Wirkung von Muskelrelaxanzien, Opiaten, Alkohol und Beruhigungsmitteln verstärken. Kontraindiziert sind THC-haltige Cannabispräparate bei schweren Persönlichkeitsstörungen und Psychosen, schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, schweren Nieren- bzw. Leberschäden sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit.
Insgesamt ist die Verträglichkeit von Cannabinoiden gut. Die Begleiterhebung zur Verträglichkeit bei Schmerzpatienten zeigt, dass etwa 56 % völlig nebenwirkungsfrei waren5.

Verschreibung
Bereits seit 1998 ist Dronabinol betäubungsmittelrechtlich verordnungsfähig. 2017 wurde dann die Verordnungsfähigkeit von Cannabis-Wirkstoffen zu Lasten der GKV vom Gesetzgeber neu geregelt. Für gesetzlich Versicherte muss vor Verordnung eines Cannabisarzneimittels ein Antrag auf Kostenerstattung gestellt werden. Folgende Voraussetzungen müssen in der Regel erfüllt sein:

  • Es muss eine schwerwiegende Erkrankung nach SGB V vorliegen.
  • Eine andere, allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung steht nicht zur Verfügung bzw. kann nicht zur Anwendung kommen.
  • Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome.


Übernimmt die Krankenkasse die Kosten für eine Therapie mit Cannabisblüten, werden in der Regel die Kosten für den zur Inhalation erforderlichen Vaporizer ebenfalls übernommen.
Grundsätzlich ist für das Genehmigungsverfahren der Krankenkassen eine Frist von 3–5 Wochen vorgesehen. Lediglich bei Pallia­tiv­patienten, die im Rahmen einer genehmigten SAPV (spezialisierten ambulanten Palliativ Versorgung) behandelt werden, verkürzt sich diese Frist auf 3 Tage. Ebenfalls verkürzt ist die Frist auch für den Übergang von stationärer zur ambulanten Versorgung. Nach einmal erfolgter Genehmigung der Cannabistherapie muss bei Dosisanpassung, dem Wechsel der Blütensorte oder des Extraktes kein erneuter Antrag gestellt werden. Lediglich bei Wirkstoffwechseln – also z. B. von Dronabinol zu Cannabisblüten – ist ein Neuantrag erforderlich.
Cannabispräparate, mit Ausnahme reiner CBD-Zubereitungen, müssen auf einem BTM-Rezept verordnet werden. Vermerkt werden müssen die verordnete Blütensorte, die Gesamtmenge (in Gramm) sowie die genaue Rezeptur- und Einnahmevorschrift.


Fazit zu Cannabis
Medizinisches Cannabis findet zunehmend Einsatz in der Palliativversorgung. THC- und CBD-haltige Präparate können die Lebensqualität verbessern, indem sie, bei insgesamt guter Verträglichkeit, gleichzeitig mehrere parallel vorliegende Symptome lindern. Sie werden in der Palliativmedizin in der Regel zusätzlich begleitend zu einer bestehenden Therapie verordnet – können ggf. aber auch eine Polymedikation deutlich reduzieren.
Zu einer guten und auf die Bedürfnisse eines individuellen Patienten zugeschnittenen Schmerztherapie gehört neben einem guten fachlichen Wissen und entsprechender Erfahrung nach meinem Empfinden aber wesentlich auch immer eine ganzheitliche Sicht auf den Patienten, sein Leben, seine Wünsche und Werte sowie die Reflexion der eigenen Person – wer bin ich und wie möchte ich die Beziehung zu meinen Patienten gestalten.
Sandra Apondo, eine an Krebs erkrankte Kollegin, hat es zuletzt im Ärzteblatt so ausgedrückt: „[…] die Zeit ist reif für eine Wende hin zu mehr aktiv gelebter Empathie und bewusst ausgedrückter Menschlichkeit in der Medizin. […] Und erst dann gelingt ein Zugang zum Patienten, der ein heilsames Beziehungsgeschehen auch auf psychischer Ebene ermöglicht6.“

Literatur:

  1. Prütz, F & AC Saß. Daten zur Palliativversorgung in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2017; 60(1): 26–36
  2. Appelmann I et al. Der Einsatz von Cannabinoiden am Lebensende [Cannabinoids in pain and palliative care]. MMW Fortschr Med 2022;164(Suppl 5): 16–19
  3. Atakan Z. Cannabis, a complex plant: different compounds and different effects on individuals. Ther Adv Psychopharmacol 2012; 2(6): 241–56
  4. Horlemann J & Schürmann N. DGS-PraxisLeitlinie Cannabis in der Schmerzmedizin – Hilfsmittel für die tägliche Praxis. Version 1.0 für Fachkreise, Erscheinungsjahr 2018. (https://dgs-praxisleitlinien.de/cannabis/). Zugegriffen am 13.11.2022
  5. Hoch E et al. Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabisarzneimitteln: Ergebnisse der CaPRis-Studie. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2019; 62(7): 825–9
  6. Apondo S. Ärztliche Unverwundbarkeit – Denkanstöße einer krebserfahrenen Kollegin, Deutsches Ärzteblatt 2022: 119: 33–4

Dr. med. Iris Friesecke
Privatpraxis für Naturheilkunde und Komplementäre Medizin
Ganzheitliche Psychoonkologie und Psychotherapie

Foto: AdobeStock/Opra

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