Frau mit Smartphone

Medial erzeugte Selbstzweifel und Optimierungswünsche produzieren vor allem bei jungen Menschen unrealistische Wünsche bezüglich ihres Aussehens. Gerade nach dem Lockdown ist die Nachfrage nach chirurgischen Eingriffen in dieser Altersgruppe gestiegen. Experten fordern deshalb unter anderem eine Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Bilder.

Ein Schulterblick in die Vorabzahlen der DGÄPC Statistik 20231 zeigt bereits vor Ende des Umfragezeitraums, dass die Sozialen Medien bei den Menschen in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnen, während klassische ­Medien wie Zeitschriften und reguläre TV-Sendungen eher in den Hintergrund treten, wenn es um Entertainment und Informationsbeschaffung geht. In der jungen Zielgruppe unter 30 steht ein Blick in den Insta­gram-Account sogar mehrmals täglich auf dem Programm.
Dass „Beautythemen“ immer gut gehen und entsprechende Reichweiten bringen, machen sich auch viele Influen­cer*innen und Werbetreibende zu nutze. Leider werden hierbei oft nicht nur irrationale Wünsche getriggert und medizinische Behandlungen bagatellisiert, auch der Einsatz von modernsten Filtern nimmt immer mehr Einfluss auf den Selbstwert der Betrachter, sowie auch auf diejenigen, die die Filter verwenden.

Zielgruppe unter 30 – OPs statt minimalinvasiver Behandlungen
Anders als man vielleicht vermuten mag, ließ sich in den fachärztlichen Praxen und Kliniken der niedergelassenen Plastischen und Ästhetischen Chirurgen die junge Zielgruppe vor allem operieren. Nach wie vor fanden 2022 brustchirurgische Eingriffe mit insgesamt 39,8 % den größten Zulauf bei den Patientinnen unter 301. Der Trend für 2023 sieht ähnlich aus. Dabei nahm die Brustver­größerung (Implantat) mit 18,6 %1 den größten Teil ein.
Die stetig hohe Nachfrage bei der Brustchirurgie findet sich vor allem darin begründet, dass nach der Pubertät die Brust bereits ausgewachsen ist und nur noch durch hormonelle Faktoren wie Schwangerschaft oder Menopause in ihrer Grundform verändert wird. Daher entscheiden sich vor allem junge Frauen, ihrem persönlich empfundenen Leid über zu kleine, zu große oder asymmet­risch angelegte Brüste frühzeitig entgegenzuwirken.
Auf Platz 2 folgte die Fettabsaugung als körperformende Maßnahme. Dieser Eingriff nahm 2021 noch unter 10 % ein und lag 2022 bei 16,2 %1. Eine Begründung könnte in dem Nachhall der Homeofficezeiten liegen. Viele Patientinnen klagten demnach über ­„Coronapfunde“ und durch die wiederbeginnenden Reiseaktivitäten wird jetzt wieder verstärkt auf die Figur geachtet. Zudem finden in den Social-Media-Kanälen vermehrt Berichterstat­tungen und sogenanntes Storytelling im Bereich der „Schönheitsoperationen“ statt, was die junge Zielgruppe zusätzlich animiert und beeinflusst. Auf Platz 3 fallen Nasenkorrekturen mit 11,8 %1. Hier hat sich die Nachfrage über die letzten Jahre kontinuierlich gesteigert. Diese Zahlen finden ihre Begründung vor allem darin, dass Patientinnen unter 30 häufig noch nicht unter deutlich sichtbarer Hautalterung oder dem Verlust von Gewebeelastizität leiden. Deshalb werden gesichtsverjüngende Maßnahmen in dieser Zielgruppe meist nur vorbeugend gewünscht. Das erklärt, warum die Nachfrage bei Operationen, die von anatomischen Gegebenheiten herrühren, wie z.B. einer zu klein angelegten Brust oder genetisch bedingten Problemzonen, so groß ist.
Zudem geben die Zahlen wieder, was in seriösen Praxen für Ästhetisch-Plasti­sche Chirurgie nachgefragt bzw. durchgeführt wird. Ein allgemeiner Anstieg von Filler- und Botulinumtoxin­behandlungen innerhalb der jungen Zielgruppe ist vermutlich bei den auf dem Markt befindlichen Beautyketten und Franchisesystemen merklich spürbarer. Hier wird auch verstärkt mit zielgruppenaffinen Angeboten und Specials – vor allen auf Social-Media-Kanälen – geworben. Zudem ist aufgrund der durchschnittlichen demografischen Daten innerhalb der Zielgruppe unter 30 davon auszugehen, dass eine größere Preissensibilität vorliegt, weshalb sehr günstige Angebote für vermeintlich kleine ästhetische Behandlungen größeren Anklang finden.

Unwissenheit schützt vor Komplikation nicht
Die Qualifikation des Anbieters spielt hier zunächst eine untergeordnete Rolle. Immerhin kennen laut Vorabtrend der Zahlen2 für 2023 53,4 % der Be­fragten den Unterschied zwischen „Schönheitschirurginnen“ und „Fachärztinnen für Plastische und Ästhe­tische Chirurgie nicht. Als Folge lassen sich gerade jüngere Menschen, getrieben von medial erzeugten Selbstzweifeln und Optimierungswünschen, dazu verleiten, auf günstige Angebote einzugehen, ohne die Qualifikation der behandelnden Person zu hinterfragen. Das führt immer wieder dazu, dass Kosmetikerinnen konsultiert werden, oder aber Ärztinnen ohne nachgewiesene Qualifikation und mangelnde Erfahrung sich dazu befähigt fühlen, ästhetische Behandlungen durchzuführen. Dass Kosmetikerinnen keine medizinischen Handlungen vornehmen dürfen, ist gesetzlich geregelt. Leider lässt der Ästhetisch-Plastische Bereich aber Raum für Irreführung. Denn „Schönheitschirurg“ ist kein Facharzttitel, sondern eine Bezeichnung, die sich jeder Arzt einfach so aneignen kann – fernab der Qualifikation und Ausbildung. Ebenso ungeschützt sind „Kosmetische/r Chirurgin“, „Ästhetische/r Chirurgin“ und „Beauty Doc“ oder selbsternannte „Expertin für Ästhe­tische Medizin oder Plastische Chirurgie“.
Hinter dem „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ steht eine langjährige Ausbildung von mindestens sechs Jahren, in denen sich die Chirurginnen umfangreiches und detailliertes Wissen aneignen sowie reichlich an praktischer Erfahrung sammeln. Die DGÄPC betreibt als Fachgesellschaft, u.a. auch im Schulterschluss mit den anderen großen Fachgesellschaften in diesem Bereich, Aufklärungsarbeit. Hierzu zählen mediales Engagement, um ein gesellschaftliches Bewusstsein für diese und andere branchenrelevanten Problematiken zu erreichen, aber auch die Bereitstellung diverser Checklisten4 (z.B. Arztwahl, Auslands-Operationen, etc.) auf der Website. Diese dienen als Hilfestellung für Patientinnen, um Unsicherheiten begegnen zu können und sie auf ihrem Weg zu einer sicheren und erfolgreichen Behandlung zu begleiten.

Kennzeichnungspflichtig für bearbeitetes Bildmaterial
Neben der Aufklärungsarbeit bezüglich der Bedeutung des Facharzttitels ist ein Kernpunkt seit über zwei Jahren die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht von bearbeitetem Bildmaterial. Vorbilder sind die bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen in Frankreich, Israel und Norwegen. Sowohl die Öffentlichkeit als auch Influencerinnen und Medien sind sensibilisiert, nur die politische Ebene scheint andere Prioritäten zu setzen. Nicht nur die Statistik zeigt das alarmierende Wachstum im Bereich der Beeinflussung durch soziale Medien, auch die Patientinnen, die in unsere Praxen und Kliniken mit teils absurden Wünschen ihr Aussehen betreffend kommen, sind ein Beweis dafür, dass hier gehandelt werden muss. Gerade zum Schutz der jungen, vulnerablen Zielgruppe ist eine solche Kennzeich­nungspflicht in unseren Augen unab­dingbar, wenngleich seriös angewendete Ästhetisch-Plastische Chirurgie in den Kliniken und Praxen aus berufsethischer Sicht immer im Sinne der besagten Personengruppe handelt – der Markt der „Schönheitschirurgie“ wird zunehmend unübersichtlich und versucht von den Unsicherheiten der jungen Menschen zu profitieren.
Die Einflussnahme der Sozialen Medien auf das Selbstbild von jungen Menschen ist nicht nur durch zahlreiche wissenschaftliche Studien und Publikationen3 belegt, sondern auch die jährlichen Erhebungen zeigen einen klaren Handlungsbedarf auf. Durch Filter und die Bearbeitung von Gesichts- und Körpermerkmalen wird ein surreales, nicht zu erreichendes Schönheitsideal demonstriert, das dauerhaft konsumiert zu einem verminderten Selbstwert bis hin zu krankhaften Körperwahrnehmungsstörungen (Dysmorphophobie) führen kann. So hat auch die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerin­nen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder5 (GFMK) unter dem Vorsitz von Katharina Fegebank die Kennzeichnungspflicht bei Bearbeitung von Bildmaterial in der Werbung und in sozialen Netzwerken mehrheitlich im vergangenen Jahr beschlossen. Bedauerlicherweise scheint dies auf Bundes­ebene verebbt bzw. bisher nicht weiterverfolgt worden zu sein.

Dr. Alexander P. Hilpert
Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie in Düsseldorf/Duisburg
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC)

Foto: AdobeStock/KMPZZZ

Schreiben Sie einen Kommentar

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Post comment